Donnerstag, 2. Juni 2011

Vom Familienurlaub über Piñata-Unfälle bis zu meinem Kaninchenbaby

Hallo meine lieben in Deutschland,

vermutlich entgegen eurer Erwartungen hat mich nun doch mal wieder die Lust zum schreiben gepackt. Deswegen bringe ich euch nun mal wieder einigermaßen auf den neuesten Stand. Ich kann natürlich nicht alles erzählen was mir so passiert, deswegen beschränke ich mich auf die letzten paar Wochen, da kommt immerhin auch schon einiges zusammen ;-) Ich hoffe es wird euch nicht zu anstrengend.

Vor kurzem haben mich meine Eltern und Anika besucht und wir haben zusammen sehr viel erlebt.

Leider waren wir nur relativ kurz in San Carlos, weil wir noch so viel vom Rest des Landes sehen wollten, aber die Zeit haben wir intensiv genutzt und den ganzen Río San Juan mit seiner phantastischen Natur entdeckt.


Immer im Boot unterwegs, durch den Dschungel, das hat uns sehr fasziniert. Vor allem für das Naturreservat Los Guatuzos am Río Papaturro hat sich meine Familie sehr begeistern können. Dort gibt es einen Baumpfad, also ein 150m langes Drahtseil-Hängebrückensystem mitten durch den Dschungel.
Dabei konnten wir Affen, Riesenpalmen, Kakaobäume und sogar ein Faultier entdecken. Aber auch das Inselarchipel Solentiname mit der beeindruckenden Rolle während der Revolution und mit dem wunderschönen Kunsthandwerk aus Balsaholz, und El Castillo mit seiner Festung zur Verteidigung gegen die Karibik-Piraten, die den Río San Juan hinauf kamen, haben uns sehr gut gefallen.
Eigentlich wollten wir danach mit der kleinen Propellermaschiene "La Costeña" nach Managua fliegen, aber es war Semana Santa (Karwoche), was eine der wenigen nationalen Ferien sind.

Die Costeña war also schon einen Monat vorher komplett voll. Wir mussten uns irgendwie ein Taxi oder etwas organisieren, weil wegen den Feiertagen auch keine Busse gefahren sind. Aber mit den Kontakten, die ich inzwischen habe, konnte ich uns einen Transport organisieren. Karfreitag verbrachten wir in León, wo die Karfreitagsprozessionen am beeindruckensten waren. In den Straßen haben sie aus gefärbtem Sägemehl Teppiche mit christlichen Motiven kunstvoll gelegt, leider wurden diese schönen Kunstwerke am Abend mit einem Mal zerstört, als die Prozession darüber lief.

Es war ein riesiges Spektakel, ich glaube halb León war anwesend und hat mühevoll alles geschmückt, Altäre aufgebaut, fröhlich gefeiert, oder der Menschenmasse in zahlreichen kleinen Straßenständen Essen verkaufen müssen. Mir ist aufgefallen, dass vor allem christliche Feste von allen Leuten, groß oder klein, riesig gefeiert wird, und es ist immer ein fröhliches Fest auf den Straßen mit allen Menschen zusammen. Aber bei jeder Ansammlung von Menschen tauchen auch sofort die kleinen Verkäufer auf, die es sich zu nutze machen, dass so viele Menschen zusammen sind. Frittiertes Hühnchen, Hotdog, frittierte Bananen, Tortillas, Gallo Pinto, Wasser in kleinen Plastiktüten, Cola, etc.

In León hatte ich mit Anika noch ein besonderes Erlebnis, wir machten eine Volcano-Boarding-Tour auf dem Cerro Negro (schwarzer Hügel), organisiert von einem ganz coolen Neo-Hippie-Hostal voller Rucksack-Gringos die kein Spanisch sprechen, sich aber was drauf einbilden oh ja ganz alternativ in Nicaragua Urlaub zu machen. Wir sind mit der Gruppe mit einem großen orangenen Truck durch die Pampa Richtung Vulkan gefahren. Ich konnte fast die Gedanken der ganzen Leute lesen. Truck-Gringos: "oh look, its so nice here, all the nature and the beautiful the little houses with cute animals ... and they have the volcano so close, they could climb it up every day and don't have to pay for a hostel and a tour guide" Einwohner eines Holzhauses am Straßenrand: (übersetzt:) "da ist schon wieder so ein Laster der komischen Gringo-Touristen. Ich verstehe gar nicht was die alle immer haben, dass sie sich die Qual antun da raufzukraxeln. Haben anscheinend nichts zu tun, müssen nicht mühselig das Wasser hierherschleppen und das Feld bestellen in dieser trockenen Hitze. Sie spinnen doch, dass sie sich der Gefahr freiwillig aussetzen, der cerro negro könnte doch jeden Moment ausbrechen, ich wünschte ich könnte woanders hinziehen, aber der Boden ist nunmal nur hier am Fuß des Vulkans fruchtbar genug"

Trotzdem, ich bereue diese Tour nicht, es war ein umwerfendes Erlebnis und obwohl der Aufstieg echt hart war, hat es sich gelohnt. Oben angekommen schlug mein Geographen-Herz höher. Wir standen direkt am Rende des Kraters eines ultra-aktiven Vulkans (immerhin ist er erst 150 Jahre alt, vorher war nichts als normale Landschaft und jetzt schon 730 m hoch.) Ich sah, wo die letzte Lavazunge in das Land hervorgedrungen ist, die Erde verbrannte und eine schwarze Lavakruste hinterließ. Man hat die Erde brodeln gespürt, die Lava und die Schwefeldämpfe gerochen. Ich konnte es vor Augen sehen, was für ein Unheil für die Menschen ein Ausbruch bringen würde. Und wir Gringos waren so naiv einfach mal hinaufzuklettern um auf einem Holzbrett wieder runterzurutschen. Nunja, Spaß hat es schon gemacht und die Erfahrung war es wert.
Nach León ging es nach Granada, wo wir uns mit Cristian, meinem Freund, trafen der dort mit seiner Familie Urlaub machte. Die Kolonialstadt mit seinen schönen Häuserfassaden und dem absolut zu empfehlenden Hotel Kekoldi hat es uns auch angetan. Von dort machten wir Tagesausflüge wie zur Laguna de Apoyo oder nach Masaya auf den wunderschönen Kunsthandwerksmarkt (einer von diesen tollen handgeschnitzten Schaukelstühlen kostet dort nur umgerechnet 21€. Ich muss eine Möglichkeit finden mir einen mitzunehmen =)
Die letzten Tage bevor wir Anika wieder zum Flughafen nach San José bringen mussten, verbrachten wir in San Juan del Sur, am Pazifikstrand und ließen es uns gut gehen.

Ziemlich interessant fand ich bei der ganzen Reise das Land mal aus den Augen eines Touristen zu sehen, ich habe mich ja bis jetzt einigermaßen erfolgreich davor gedrückt einer zu sein. Es war schön in dem Sinne, dass man so noch einmal viel mehr wunderschöne Ecken des Landes kennenlernt und viel sieht. So habe ich bis jetzt um einiges mehr von Nicaragua gesehen als die meisten meiner Freunde hier, die zum Reisen weder Geld noch Zeit haben. Schade am Reisen ist aber irgendwie, dass alles aus dem Fenster eines ausrangierten US-Schulbusses wirklich sehr anders aussieht als aus dem eines Mietwagens. Man blickt auf alles von außen und ist nicht wirklich drin, man sieht das Land, aber man erlebt es kaum.
Selbstverständlich ist das richtige Erleben nur möglich, wenn man wirklich lange Zeit hier ist, und ich freue mich wie die Nicaraguaner sehr, wenn sich Leute aus anderen Ländern für Nicaragua interessieren und möglicherweise eine sehr lange Reise auf sich nehmen um dieses Land kennenzulernen. Stolze Nicaraguaner hören es oft nicht allzu gerne, wenn man sagt, dass die Touris ja schön die ganzen Scheinchen bringen, die Nicaragua braucht. Für sie hört sich das an, als würde man auf sie herabblicken, dass sie die Gringos zum überleben brauchen, abhängig von ihnen sind, nur die kleinen ganz unten sind, die nicht selbstständig und unabhängig sein können. Und Nicaraguaner sind sehr stolz, vor allem auf ihr Land und ihre Kultur. Das hört also verständlicherweise niemand gerne, obwohl jeder einräumt, dass der Tourismus etwas Gutes für das Land ist, sie sind ja auch nicht blöd.

Als ich von der Reise nach San Carlos zurückkam, wurde ich überrascht. In San Carlos tut sich sehr viel, es hat mich wirklich erstaunt wie schnell sich das Stadtbild verändert weil einfach ununterbrochen gebaut wird. Bei der Ankunft habe ich schon zwei komplett neue moderne Läden in der Einkaufsstraße und ein neues Mini-Straßenrestaurant entdeckt. Dafür ist ein anderer Laden komplett verschwunden. Die Hauptstraße wird nun auch ausgebaut.

Vom Krankenhaus bis fast ganz nach außen bei der Schule, dem Instituto, ist sie nun gesperrt und man munkelt, dass es wohl ab da getrennte Fahrbahnen geben soll, also mit Fahrbahntrennung in der Mitte. Der ganze Verkehr ist jetzt durch das Wohngebiet, das Proyecto geleitet und der Busbahnhof wurde ganz nach außen (in das Barrio Lindavista) verlegt. Ich werde jetzt regelmäßig viele Bilder vom Stadtbild San Carlos machen, weil es sich so schnell verändert.
Auch zu Hause geht es vorwärts. Meine Gasteltern Doña Sonia und Don Julio haben jetzt endlich den lange ersehnten Kredit bekommen und bauen das obere Stockwerk aus. Es kommen noch vier weitere Zimmer wie die unseren hin, mit eigenem Bad.

Unten außerdem auch noch ein zweites Bad unten und oben noch ein Gemeinschaftsbad. Die obere Außenverkleidung machen sie auch ganz neu. Heute haben sie mit den Arbeiten angefangen. Etwas unwohl ist uns allerdings schon, dass jetzt ganz fremde Arbeiter ständig um unsere Zimmer rumstreifen, wir schauen jetzt eben drei mal, dass zugesperrt ist, bevor wir gehen.
Ich glaube für Sonia und Julio ist das eine gute Möglichkeit das Haushaltseinkommen zu stabilisieren. Sie werden ja dann in Zukunft neun Zimmer vermieten können, das ist schon einiges, ich glaube es soll auch so etwas wie ein Familienhostal werden.

Die vorletzte Woche hatte ich nicht viel zu tun, Arete hat leider wieder nicht viel Geld, deswegen konnte ich nicht mit Sugeyling nach San Miguel fahren (ich hätte auch nichts tun können, dort haben wir schon zwei kulturelle Aktivitäten gemacht) Deswegen bin ich am Freitag mit Kathrin und Meike mitgefahren zu einer Feier in Cruz Verde, einer kleinen Comunidad. Das war sehr schön, wir hatten das zusammen mit dem Pastor von San Carlos (der an diesem Tag dort Messe hielt) geplant. Einige Spiele mit den Kindern, eine Piñata und ein Puppentheater. Das tolle war, dass viele Leute gekommen sind, wegen der Messe, und dass es den Leuten und vor allem den Kindern gut gefallen hat.

Nur ging die Piñata etwas schief, ein Kind hat den Holzknüppel an den Kopf bekommen. Es hätte mich gewundert, wenn nicht wenigstens einmal etwas passieren würde, das ist nämlich schon immer eine ziemlich gefährliche Sache. Das Kind mit dem Knüppel haut ja immer mit voller Wucht zu, und das mit verbundenen Augen. Und wenn die Bonbons fallen, dann stürzen sich alle wie wild drauf, oder nur die mutigsten. Bis jetzt ging erstaunlicherweise immer alles gut, man muss eben als "Aufpasser" sehr gut aufpassen und den Knüppel schnell festhalten. Dieses Mal haben wohl alle etwas zu langsam reagiert und schon ist es passiert. Zum Glück war es nur ein Streifer, aber geblutet hat es trotzdem wie verrückt. Und es war in dem ganzen Dorf nicht einmal ein Krankenpfleger zu finden, geschweige denn ein Arzt. Da wurde ich wirklich nervös, die Mutter hat uns die ganze Zeit beschuldigt usw. Letztendlich hat sich herausgestallt, dass der Vater wohl seinen Sohn übertrieben schützt und seine Frau sogar schlägt, wenn dem Kleinen was passiert. Kein Wunder also, dass sie auch ganz fertig war. Letztendlich hat sich eine Hebamme finden können, die nähen kann. Aber sie meinte es ist so klein, dass es sich nicht lohnt und dem Kleinen mehr wehtun würde als es so zu lassen.
Alles in allem aber ein sehr schöner Nachmittag, es hat den Kindern wirklich viel Spaß gemacht. Vor allem das Schwungtuch, so etwas haben sie ja noch nie gesehen. Ich schicke euch Bilder mit.

Die Messe war dann auch schön, wir haben sie noch mitgemacht. Wir, also Arete, wurden gesegnet und dass uns Gott bei allem unserem Tun und der Arbeit begleite, etwas komisch fühlt sich das schon an, so besonders hervorgehoben zu werden, nur weil man mit Kindern spielt. Aber das zeigt mir auch, wie wichtig es ist, einfach nur zu den Menschen hinzukommen und mit den Kindern zu spielen, für mich und für sie. Mich hat berührt, mit wie wenig diese Menschen zu begeistern waren. Die Leute dort leben in großer Armut und für sie ist es ein großes Highlight, wenn der Pastor einmal im Monat kommt um die Messe zu halten, das Abendmahl zu geben und die Kinder zu segnen. Ich glaube das ganze Dorf ist gekommen und hat fröhlich gefeiert. Alle haben gelacht.

Letzte Woche hatte ich noch ein schönes Erlebnis. Ich fuhr mit meinem Team bei Arete bestehend aus Betsy und Sugeyling (Betsy in blau, Sugeyling in orange) nach Solentiname.

Solentiname ist ein Inselarchipel im Nicaraguasee, bestehend aus 36 Inseln und etwa zwei Bootsstunden von San Carlos entfernt. Bekannt ist Solentiname durch den revolutionären Priester Ernesto Cardenal, oder durch sein wunderschönes Kunsthandwerk aus Balsaholz, das ihr vielleicht schon am Christkindlesmarktstand gesehen habt. Wir fuhren diesmal nicht als Touristen hin, sondern zum arbeiten, wie in jeder anderen Comunidad auch.

Wenn wir in die Comunidades fahren läuft es meistens so ab, dass wir mit den verschiedenen Institutionen wie den Schulen oder dem Centro de Salud zusammenarbeiten, um an die Leute ranzukommen, das ist nämlich immer das größte Problem. Betsy als Psychologin und Sugeyling als Sozialarbeiterin halten Vorträge, Gesprächsrunden oder Einzelgespräche über Gewalt in der Familie, verschiedene Formen von Gewalt, der Kreis der Gewalt, Schwangerschaft im Jugendlichenalter, Drogenmissbrauch, Machismus, Selbstbewusstsein, Erziehung der Kinder, usw. Ich versuche mir eine kulturelle Aktivität zu organisieren. Ein kurzes Theaterstück von Jugendlichen, eines mit Handpuppen für Kinder, eine Piñata, Spiele mit Kindern. Dieses Mal auf Solentiname war es etwas anders.
Unsere Reise wurde von Huelva, einer Stadt in Spanien, finanziert, die im Moment ein Programm Ingenieros sin Fronteras (Ingenieure ohne Grenzen) in Solentiname hat. Wir fuhren in einem kleinen Holzboot mit einem spanischen Ingenieur von Insel zu Insel und wollten die Treffen, die er mit der Bevölkerung hat, nutzen um unsere Arbeit zu machen. Nunja, leider hatte der arme Knabe etwas Schwierigkeiten die Leute zusammenzusuchen. Er arbeitet daran, vor allem auf den kleinen Inseln ein neues Wassersystem zu installieren, beziehungsweise überhaupt erst eines.
Das ist ein riesen 20m³-Becken, um das Regenwasser in der Regenzeit zu sammeln, es zu filtern und in der Trockenzeit als Trinkwasser für die Bevölkerung zu dienen. Sie trinken nämlich alle das Wasser aus dem Nicaragua-See, auch die kleinen Kinder. Der See, in den alle Abwässer der angrenzenden Städte fließt: San Carlos, Granada, Rivas, ebenso Fabrikabwässer und kontaminiertes Wasser aus Costa Rica, da der See viele Zuflüsse aus Costa Rica hat. Von dem Gesundheitssystem auf den kleinen Inseln brauche ich wohl kaum erzählen, es gibt keins. Und wie viele Menschen haben schon das Geld mal schnell nach San Carlos ins Krankenhaus zu kommen, wenn ein Kind krank ist, wegen dem Wasser. Das Kollektivboot fährt nur zwei Mal die Woche. Wir alle sehen jedenfalls sehr dringenden Bedarf an diesem Projekt. Aber ohne die Mitarbeit der Bevölkerung wird das nichts. Man kann nicht einfach so ein Becken in die Landschaft stellen und damit ist dann gut, auch sich das viele vielleicht so vorstellen. Das muss von den Leuten dort akzeptiert sein, man muss sie überzeugen, sie müssen lernen, wie man das wartet und jeder einen gewissen Teil dazu beitragen, in Form von Arbeitskraft oder finanziellen Mitteln, je nachdem wie es möglich ist. Wenn man das nicht berücksichtigt, hat man am Ende ein Becken dort, das verfällt, weil sich keiner dafür verantwortlich fühlt, immerhin hat es ja der Chele (Weiße) dahingestellt, und es wird nicht akzeptiert und nicht benutzt, weil keiner weiß was man damit macht. Deswegen ist gerade die EntwicklungsZUSAMMENARBEIT so wichtig. Im Falle des kleinen Mini-Dorfes Sector Ortega (circa sieben Familien) war genau das aber sehr schwierig. Die Leute hatten nie etwas zusammen gemacht, sie verstehen sich untereinander nicht und haben keinen Sinn für Gemeinschaft. Außerdem glauben sie dem Chele nicht, dass er das wirklich machen wird "Das ist doch nur Geschwafel wie immer, immer reden sie nur und passieren tut nie etwas, außerdem schau mich an, ich bin 70 Jahre alt, habe von klein auf das Wasser aus dem See getrunken und nie ein Krankenhaus besucht".

So etwas haben wir traurigerweise tatsächlich zu hören bekommen. Aber die meisten sehen schon ein, dass es so mit dem Wasser nicht weitergehen kann. Aber wenn beim zweiten Anlauf nur zwei Leute zu dem Treffen kommen, für das wir eine Stunde mit dem Boot gefahren sind, um den Leuten das Projekt zu erklären, dann sehen wir leider, dass wir dort nicht mit den Menschen zusammenarbeiten können. Für uns als Arete war es natürlich auch insofern ungünstig, weil wir unsere Arbeit nicht machen konnten. So haben wir in den zwei kompletten Tagen, die wir dort waren, keine einzige schwangere Frau gefunden (wir arbeiten mit schwangeren Frauen in der Prävention von Depression in der Schwangerschaft, das machen wir in Einzelgesprächen) und sonst eigentlich nur mit den Kindern in der Schule arbeiten können.
Das war allerdings eine sehr tolle Sache, auf der Insel Mancarroncito zum Beispiel. Nach eineinhalb Stunden Bootsfahrt waren wir noch lange nicht angekommen. Wir marschierten mit allem was wir dabei hatten noch eine dreiviertel Stunde durch den Urwald und an Kuhherden vorbei, über einen Hügel darüber, und das bei 30 °C im Schatten (genau diesen Weg inkl der Bootsfahrt müssen die Einwohner zurücklegen um zu einem Krankenpfleger zu kommen). An der Schule angekommen war ich einfach nur platt, und wir hatten nurzwei Flaschen Trinkwasser dabei. Zum Glück habe ich Betsy und Sugeyling angesehen, dass sie genauso KO waren wie ich, und dass ihnen der Gedanke an die Rückkehr genauso viel Angst machte wie mir.

Die Schule ist ein kleiner Raum, Blau-Weiß gestrichen (wie die nicaraguanische Flagge und die Schuluniform), so wie fast alle Schulen hier. Drinnen saßen vierzehn Kinder sehr verschiedenen Alters, denn für Alterstrennung gibt es keinen Platz. Einige trugen Gummistiefel, andere ausgelatschte Plastikschlappen, je nach Länge und Begehbarkeit des Schulwegs. Nur wenige trugen Schuluniform, deren Eltern sich das leisten konnten. Wir sprachen kurz mit dem Lehrer, der uns freudig begrüßte und mich neugierig betrachtete. Er gab uns sehr gerne eine Unterrichtsstunde ab. Ich begann mit dem Puppentheater, das die Moral hat, dass man alles schaffen kann, wenn man nur an sich selber glaubt. Soll das Selbstbewusstsein ein bisschen stärken. Die Kinder waren mir gegenüber sehr schüchtern, so ganz anders als die in San Carlos.

Ich möchte nicht sagen, dass diese Kinder noch nie eine Weiße gesehen haben, dass kann ich mir nicht vorstellen, aber viele Weiße machen sich sicher nicht auf den weiten Weg um mit ihnen Spiele und Theater zu spielen. Sehr begeistert waren sie von dem großen Regenbogenfarbigen Schwungtuch, das sie glaube ich tatsächlich noch nie gesehen hatten. Fix und alle machten wir uns auf den Rückweg, es war eine sehr schöne, unvergessliche Stunde für mich, und ich hoffe für die Kinder auch.
Zurück auf Mancarrón, der Insel auf der wir die Nacht verbrachten, komme ich nun endlich zu dem, was ich eigentlich erzählen wollte. Wir wohnten bei Doña Lidia Castillo, die ein kleines Familianhostal hat.

Sie ist außerdem eine Artesana (sie stellt das Kunsthandwerk her) und eine ausgesprochen offene und herzliche Señora. Ich fragte sie, ob ich Fotos von ihr bei der Arbeit machen könnte, um daraus eine Art Ausstellung oder Informationsbroschüre über das Kunsthandwerk in Solentiname zu machen, für die Städtepartnerschft Nürnberg, unter anderem für den Christkindlesmarktstand. Davon war sie sehr begeistert, ließ sich fotographieren und filmen, erklärte mir alles und wir hatten großen Spaß beim Posieren für das Fotoshooting. Das Highlight war aber, als sie mich selbst etwas schnitzen ließ.

Während ich von ihr lernte, wie man Schritt für Schritt das so weiche und leichte Holz bearbeitete, bis irgendwann ein Fisch daraus wird, merkte ich was es doch für eine große Ehre für mich war, dass ich das machen konnte. Ich bin einfach so hereingepurzelt, komme von so weit her, kenne die Frau erst seit einem Tag, und sie führte mich in ihre Tradition ein. Saucool!! Der kleine Fisch ist letztendlich natürlich nicht perfekt geworden, aber für den ersten, den ich geschnitzt, gefeilt, grundiert und angemalt habe, ist er nicht schlecht geworden.

Ich würde ihn gerne herschenken, aber ich glaube, dafür ist er für mich zu kostbar, tut mir Leid.
Ach ja, außerdem kann ich ihr kleines Familienhostal sehr empfehlen für diejenigen, die keine großen Ansprüche aber einen kleinen Geldbeutel haben und viel Wert auf ein familiäres Ambiente legen. Für 150 Córdoba (5€) ein Doppelzimmer ist ein guter Preis, mit Moskitonetz (unentbehrlich) und einem richtigen Klo, also kein Plumpsklo, wenn auch mit Eimerspülung, und sie verkauft agua purificado, Trinkwasser.
Solentiname gehört für mich zu einer der schönsten Ecken des Río San Juan, sowohl zum arbeiten, auch wenn es schwierig ist, als auch zum Seele baumeln lassen und mit den Menschen plaudern.

Nach dem Wochenende, das eigentlich nur Ausschlafen, Haus putzen, Wäsche waschen, Häschen versorgen und Champa (die Disco) besuchen bestand (so wie viele), bin ich nun in dieser Woche angekommen. Oh nein, stimmt ja gar nicht, am Sonntag waren wir Fischen, das ist eine tolle Sache:
Man leiht sich ein Boot (je nach Personenanzahl mehr oder weniger groß, mit Motor oder Paddel) oder man hat schon eines. Dann hat man kleine Fischerhaken, eine Rolle Nylonfaden und kleine Gewichte aus Blei oder Eisen, wenns kein Blei gibt. Dann holt man sich am Seeufer eine Menge Sardinen aus dem Wasser, mit Brotkrümeln angelockt und mit einem Netz oder löchrigen Kanister rausgeholt, oder man trifft zufällig einen Besoffenen Bekannten, der einem das für 5 Córdoba macht. Als nächstes geht man zur nächsten Pulpería und kauft: Wasser, Cola, Chips, Orangen-/Limonensaftgetränk/Fanta/Fresca, ein paar Plastikbecher und eine Flasche Rum. Wenn dann irgendwann alles organisiert ist wird alles in das Boot gepackt und eingestiegen. Wichtig ist dabei auf jeden Fall die Kopfbedeckung wegen der brutalen Sonne, und für Weiße ist Sonnencreme auch sehr zu empfehlen.

Man sucht sich entweder am anderen Flussufer des Río San Juan oder im Río frío oder am Seeufer ein ruhiges Plätzchen und bindet das Boot an. Und dann gehts auch schon los: der kleine Metallhaken wird mit dem Bleigewicht an den Nylonfaden geknotet und der Faden in einer Länge von etwavier Metern abgeschnitten oder durchgebissen. Man piekst eine der Sardinen auf den Haken, für Vegetarier ist dieser Vorgang extrem ungeeignet. Man schiebt den Haken durch den Mund bis ganz nach Hinten durch den Körper der Sardinen durch. Wenn man Pech hat quillen dabei Organe heraus. Sobald die Sardine fest auf dem Haken sitzt lässt man sie mit dem Bleigewicht ins Wasser gleiten, und sofort spürt man am Nylonfaden, wie ein Haufen Sardinen ihren eigenen Artgenossen anknabbern, dann muss man den Köder noch weiter herunterlassen, denn die Sardinen schwimmen nur oben. Den Faden hält man dabei immer in der Hand. Immer wieder spürt man dann, wie die Fische den Köder anknabbern, wenn einer aber richtig den Haken beißt, dann spürt man es gewaltig am Faden ziehen. Das kommt aber nur selten vor. Meistens knabbern die Guapotes oder Mojarras oder Barbudos oder sowas die Sardine nur ab, dann holt man den Haken rauf und hängt eine neue auf. Ab und zu wird einem ein Drago serviert, Rum mit Orangen-/Limonensaftgetränk/Fanta/Fresca in einem Plastikbecher, oder man isst Chips oder trinkt Cola oder Wasser. Ab und zu holt jemand einen Fisch raus, meistens bin das aber leider nicht ich, ich glaube mir fehlt noch ein bisschen Erfahrung, oder Glück. Je nach Größe des Fischs wird entschieden, ob er zu klein ist und noch weiter leben darf, oder ob er seinen Tod in unserem Holzboot und am Abend in unserer Bratpfanne finden wird. Frittierter Guapote selbst gefischt..hmmmmmmhhhh köstlich :-)
Diesen sonntag war die Besetzung unseres Fischkutters: Kathrin und Meike meine beiden Mitfreiwilligen, Cristian, Ottmar dessen Neffe und sehr guter Freund von uns, und Fernando der Freund einer Arbeitskollegin, der aus Managua zu Besuch war. Es war ein wunderbarer Nachmittag, obwohl ich in den ganzen drei Stunden circa dreißig Sardinen an die Fische verfüttert habe und nur einen kleinen Barbudo rausgeholt habe, den ich aber wieder freiließ. Man ist dabei so nahe an der Natur, unbeschreiblich. Sogar einen Affen haben wir im Nachbarbaum chillen gesehen.
Mir macht Fischen einfach ultra Spaß. Es ist übrigens eines der wenigen Dinge, die junge Sancarleños in ihrer Freizeit, zB am Wochenende machen können, etwas wie ein Hobby. Außer Fußball, im See baden, in die Champa gehen oder bei besonderen Anlässen ins Schwimmbad fahren gibt es keine Freizeitaktivitäten, also kein Kino, kein Poetry Slam, keinen Tischtennis-Verein, keine Sternwarte, kaum Musikunterricht (nur einen Gitarrenkurs in der Tertulia), kein Atlantis.Erlebnisbad, kein Tiergarten. Um mal schnell ein Wochenende nach Solentiname, El Castillo oder sogar Managua zu fahren, fehltden meisten Jugendlichen einfach das Geld. Außerdem sind sie ja ihrer Familie gegenüber verpflichtet. Das Haus muss sauber gehalten werden, es muss gekocht, Wäsche gewaschen, auf die kleine Nichte aufgepasst werden, nebenbei studiert man vielleicht noch am Wochenende. Wenn man großes Pech oder einen sehr kleinen Geldbeutel hat, muss man das ganze auch noch doppelt machen: Im eigenen Haus und dort wo man als Hausmädchen angestellt ist. Das ist finde ich ein Aspekt der Armut, der oft unterschätzt wird: die fehlenden Möglichkeiten seine Persönlichkeit zu entwickeln.
Als Freiwillige muss man sich auch ebenso daran gewöhnen, dass es kaum Freizeitangebote gibt. Aber mit Fischen geht das ganz gut, so lernt man es mehr zu schätzen, wenn man dann tatsächlich mal zum Fischen rausfährt.

Oh, aber nochmal zurück zu dem Häschen.
Die Familie von Cristian und Ottmar hat bzw hatte Kaninchen. Hier ist Cristian mit dem Weibchen zu sehen. Das Weibchen hat so um Ostern rum Junge bekommen, wurde aber kurz nach der Geburt vom Haushund Honkey zum Spielen herausgefordert und dabei leider getötet. Und dann soll man mal versuchen vier neugeborene Kaninchenbabys in Nicaragua per Hand aufzuziehen. Ottmar und ich haben das aber einigermaßen gut gemeistert, mit Pipette alle drei Stunden gefüttert und ein Wattenest gebaut und alles. Leider hat es aber nur einer der vier Überlebenskämpfer geschafft. Und der oder die kleine hat sich neulich auch noch das Pfötchen gebrochen, wir hoffen, dass das wieder verheilt, zumindest frisst er oder sie genug.

Ich habe mich in die Aufzucht der Kaninchen schon irgendwie hineingesteigert, ich bin ja sowieso täglich bei Cristian, Silvana, Ottmar, Mirjana, Hillary, Gustavo und Janixia zu Hause und versuche dem Zwerg ein schönes Leben zu geben :-)

Als nächsten Artikel bekommt ihr übrigens einmal einen Überblick der ganzen Personen, mit denen ich hier täglich zu tun habe, mit Fotos.

Dann machts mal gut ihr lieben,
es ist nicht mehr lange, dann bin ich wieder bei euch
genießt den kommenden Sommer und denkt beim nächsten Fisch, den ihr esst an mich ;-)

eure Kerstin

Dienstag, 8. Februar 2011

Arbeit in den Comunidades

Mal wieder lasse ich etwas von mir hoeren. Auf dem Weltwaerts-Zwischenseminar in La Paz Centro, auf dem ich die letzte Woche war, habe ich nicht viel mitgenommen. Nur die Erkenntnis, dass meine Entsendeorganisation, Einsatzstelle, Einsatzort, Gastfamilie, Tutor,… einsame Spitze sind, und viel Energie fuer die vielen Dinge, die ich schon lange einmal machen wollte, zum Beispiel weiter schreiben.
Ich habe es bis jetzt recht vermieden ueber die Arbeit zu schreiben. Das war vor allem aus Datenschutzgruenden, also von Personen und nunja, ich schreibe nicht wirklich gerne haargenau wer was bei Arete macht ins Internet, deswegen habe ich diese Themen bis jetzt vermieden. Aber so langsam denke wich wird es schon mal Zeit auch darueber etwas zu erzaehlen, vor allem weil wir jetzt inzwischen wieder in die Comunidades fahren. Zusammen mit meinem Team aus dem Psychologen José und der Sozialarbeiterin Cecilia klappern wir 6 Doerfer in der Umgebung von San Carlos ab. An der Carretera Richtung Los Chiles sind das Los Chiles, Las Azucenas und Melchorita, dann noch Esperanza 1, Morrito und El Almendro (was mich besonders freut,weil ich das ja schon kenne :-)
Was wir dort machen? Vieles! Zusammenfassen koennte man das als Praevention von Gewalt, also wir halten Vortraege zu Themen wie Innerfamiliaere Gewalt, Gender-Unterschiede, Masculinidad, Elternschule, Depression in der Schwangerschaft, etc. mit verschiedenen Zielgruppen: Jugendliche, Schwangere, Maenner, Frauen, Gesundheitspersonal oder der ganzen Bevoelkerung. Es laeuft dann etwa so ab, dass wir zum ersten mal in eine Comunidad fahren um zu koordinieren und das Ganze zu organisieren. Wenn man naemlich im Vorraus telefonisch etwas ausmacht, dann muss man schon extremes Glueck haben, dass man dann auch vor einer Gruppe von Leuten, die sich etwas anhoeren wollen, steht. Je frueher man das ausgemacht hat, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit. Also fahren wir am besten direkt einfach hin. Dort suchen wir dann meistens erst einmal das Centro de Salud, also das Aerztehaus auf, oder sonstige Verantwortliche fuer das Dorf, notfalls auch den Verantwortlichen der Sandinistischen Jugend (eigentlich arbeitet ARETE unpolitisch, absolut. Wenn wir in den Comunidades aber unbedingt eine Jugendgruppe brauchen, und es nichts anderes gibt, wo sich Jugendliche zusammenfinden, muessen wir uns diese Jugendlichen der Sandinistischen Jugend eben mal kurz ausleihen um unsere Aktivitaeten zu machen)
Beim naechsten Besuch in der Comunidad sind dann hoffentlich die Gruppen die wir brauchen soweit da, weil zumindest haben wir dann schon direkt mit den Leuten vor Ort Kontakte geknuepft. Dann machen wir unsere Charla oder unsere Capacitación (Vortraege) und geben dabei moeglichst viele Listen rum. Diese Listen sind, finde ich, etwas ziemlich haessliches, aber etwas absolut notwendiges, leider. Die Teilnehmerlisten muessen wir unter anderem fuer die OPS (Organisación Panamericana de Salud) machen. Sie als ein wichtiger Geldgeber fuer Arete braucht selbstverstaendlich eine Form des Reports von den Aktivitaeten von Arete. Also brauchen wir fuer jede Aktivitaet die wir durchfuehren zwei Teilnehmerlisten, eine fuer uns Arete, und eine fuer die OPS. Wenn wir also beispielsweise in der Casa Materna (Schwangerenhaus) in einem Vortrag etwas ueber innerfamiliaere Gewalt und Depression in der Schwangersachaft erzaehlen, sind das zwei Aktivitaeten und also vier Teilnehmerlisten. Das ist extrem stressig, noch dazu wenn viele nicht lesen und schreiben koennen. Eine andere Auswirkung davon ist auch, dass wir soo viele Aktivitaeten in kurzer Zeit eingeplant hatten, dass wir eigentlich immer nur wischiwaschi das machen koennen, moeglichst schnell das durchziehen und da noch eine andere Aktivitaet reinquetschen, so hat man gar keine Moeglichkeit mal etwas intensiver mit den Leuten was zu machen. Aber nunja, ohne die OPS und die Listen waere das alles schliesslich nicht moeglich, so muss man es auch sehen.
Meine Aufgabe bei den Fahrten in die Comunidades im Moment ist auch, jeweils eine kleine Theatergruppe zu organisieren, die sich mit dem Thema Gewalt beschaeftigt, ein kleines Stueck einuebt und schliesslich am 8. Maerz nach San Carlos eingeladen wird, wo wir mit allen Theatergruppen ein Festival veranstalten werden. Dazu kommt danach vermutlich noch etwas ausfuehrlicheres geaschrieben.
Die Arbeit in den Comunidades gefaellt mir gut, es macht einfach Spass sich morgens in den Bus zu setzen und wieder eine andere kleine Welt zu entdecken, jades Dorf hat schliesslich seine eigenen kleinen Reize. Los Chiles zum Beispiel, Mensch, ich habe noch nie einen Ort gesehen, in dem so viele Pferde sind und ein so grosser Prozentsatz der Maenner (etwa geschaetzte 90%) auf der Strasse mit Cowboystiefeln oder Gummistiefeln mit Sporen unterwegs sind. Ein Ort also, der stark von der Landwirtschaft gepraegt ist, von den vielen vielen Fincas drumherum. Oder Melchorita, was mich auch sehr fasziniert hat: Wirklich, man könnte ja meinen Nicaragua ist das Ende der Welt, dann ist aber San Carlos noch mehr am Ende der Welt, also quasi am Ende des Endes der Welt, die Comunidad Melchorita ist dementsprechend dann am Ende des Endes des Endes der Welt. Ein kleiner Teil des Dorfes (etwa 4 km von der Pulpería, also dem Ortskern von Melchorita, entfernt) ist dann also am Ende des Endes des Endes des Endes der Welt. Von dort aus ging es in einem zwanzigminütigen Fußmarsch (wir hatten leider keine Pferde) in der prallen Tropensonne zu einer Finca, auf der, wie man sagte, eine schwangere Frau lebt, die wir besuchen wollten; am Ende des Endes des Endes des Endes des Endes der Welt.
So, und wenn jetzt noch jemand sagt, Großgründlach sei das Ende der Welt, dann sollte er mal diese Finca besuchen :D
Ach ja, so im Übrigen war diese Comunidad doch ziemlich anstrengend und noch dazu sehr unproduktiv, leider. Das Schwierige ist immer die Leute zusammenzukratzen, in Melchorita naemlich, eieieiei, da gibts halt nix an Institutionen, die wir kontaktieren koennen. Ein Centro de Salud, was normalerweise schon so mehrere Ärzte und Krankenschwestern, Labor usw hat, war in Melchorita ein Raum und eine männliche Krankenschwester. Sonst nix. Nunja, da ist es dann schwierig was zu organisieren, noch dazu weil der nette junge Mann neu war und keine Ahnung von nichts hatte. Er hat uns dann zumindest eine Liste mit Schwangeren gegeben, damit wir mit denen persönlich reden können, und dann haben wir uns auf die Suche gemacht, und die wenigen Leute, die man so gesehen hat, gefragt wo denn die und die wohnt usw. Letztendlich haben wir an dem ganzen Tag nur eine einzige Schwangere besucht. Der Rest war entweder unbekannt, oder gerade auf der Orangenplantage pflücken oder nach Chontales verschwunden (das war die zu deren Finca wir zwanzig Minuten marschiert sind) Ein bisschen blöd war nur, dass es kein Wasser in Flaschen gab, und das Wasser auf dem Land kann ich leider echt nicht trinken, es kommt nämlich aus dem Brunnen, das Plumpsklo ein paar Meter weiter. Deswegen haben wir den ganzen Tag nur Cola getrunken. Zurückgekommen sind wir nunja, ziemlich fertig, verbrannt, halb verdurstet und mit nem blöden Sonnenstich. Aber cool wars irgendwie trotzdem. Ich komm mit Cecilia und José aus meinen Team ziemlich gut klar, deswegen hatten wir immer unseren Spaß dabei :-) Und eine tolle Erfahrung war es auch.
Das war es mal ganz grob zu der Arbeit in den Comunidades, eine tolle Sache eigentlich wirklich. Wir werden das vermutlich nicht lange so machen. Wenn die Schule wieder losgeht (am 15. Februar geht es fuer die armen Schueler nach ueber zwei Monaten Sommerferien wieder weiter), und nachdem das Theaterfestival, in das wir stark mit eingebunden sind, vorbei ist, warden wir vermutlich wieder in den Vorschulen mit den kleinen Kiddies arbeiten, wie wir das ja schon im November gemacht haben.
So jetzt muss ich weiter Telefonate machen und rumorganisieren und Kostueme basteln usw…
muchos saludos y besitos
Eure Kerstin

Dienstag, 30. November 2010

Ometepe - eine Paradiesinsel

Mal wieder habe ich mir ein bisschen mehr von Nicaragua angesehen, ein bisschen mehr kennen und lieben gelernt. In diesem Fall war es Ometepe, eine Vulkaninsel mitten im Nicaraguasee, der übrigens in der Indigenasprache Nahuatl einen anderen Namen hat: Cocibolca. Auch der Name Ometepe stammt übrigens aus dieser Sprache und heißt so viel wie „zwei Höcker“ das ergibt auch durchaus Sinn, wenn man bedenkt, dass die Insel aus nicht viel mehr als zwei Vulkanen besteht. Der kleinere von beiden namens Madera ist nicht mehr wirklich aktiv, er schläft, aber der größere ist hingegen noch ganz schön aktiv., könnt jeden Moment ausbrechen, deswegen sieht man auch immer so hübsche Evakuations-Hinweisschilder.

Also wie wir dazu gekommen sind auf dieses kleine Eiland zu fahren, keine Ahnung, das war mal eine Idee von Kathrin. Jedenfalls waren wir dann zu fünft: Meike, Kathrin, zwei andere Weltwärts-Freiwillige und Freundinnen von Kathrin, und ich. Für uns drei ging die Reise am Freitag um zwei Uhr nachmittags am Hafen von San Carlos los. Für mich eine extrem seltsame Situation, die Erinnerung, wie ich vor mehr als einem Jahr mit eben diesem Schiff um eben diese Uhrzeit San Carlos für eine wesentlich längere Zeit verlassen musste, war noch ziemlich real wieder da, noch dazu weil wieder Luis (Luis ist so eine Art Mentor für uns für dieses Jahr, ich empfinde ihn eher als guten Freund, der immer für uns da ist und uns zu tollen Dingen, wie Kaimanesuchen einlädt) am Hafen stand um uns zu verabschieden, er ist einfach zu lieb. Der Unterschied war allerdings, dass ich mir dieses Mal auch eine Hängematte gekauft hatte, auf die ich unglaublich stolz bin und mit der ich mir gleich einen der Luxusplätze auf dem oberen Deck außen geschnappt hab (interessant fand ich, dass Nicht-Nicaraguaner nur Karten für oben, also erste Klasse, kaufen können, das ist vorgeschrieben) , und natürlich das schöne Gefühl, dass ich San Carlos natürlich dieses Mal nicht vielleicht für immer verlassen musste. So konnte ich gelassen den neuen Erfahrungen und Erlebnissen die mich auf der Insel erwarteten, entgegenschauen. Die zehnstündige Fahrt war nunja, ziemlich abwechslungsreich, obwohl ich die meiste Zeit schlafend in meiner Hängematte verbracht habe, aber dank dem rauen Seegang und den gefühlten eisigen Novembertemperaturen war man dann doch ab und an gezwungen aufzustehen.



Ich stolz mit meiner Hängematte


Aufgefallen ist mir da schon, dass oben etwa neunzig Prozent der Passagiere auf dem oberen Deck weiße Touristen waren, die auch fast alle auf der Insel ausstiegen, und nicht noch weitergefahren sind. Auf der Insel haben wir dann festgestellt, wie stark alles vom Tourismus geprägt ist. Das war dann ein guter Anlass die Kenntnisse aus dem Geographie-LK über Tourismus in Entwicklungsländern wieder rauszukramen und eifrig darüber zu diskutieren und die Vor- und Nachteile selbst mitzuerleben (an dieser Stelle noch mal Danke an Ernesto für den tollen LK ;-)
Aber auch Themen wie Landwirtschaft, Subsistenzwirtschaft, Kaffee- und Reisanbau, Vegetation in den Tropen, Ecofarming, Vulkanismus oder Auswirkungen des Klimawandels in Entwicklungsländern habe ich dort wunderbar nachvollziehen können. In echt.
Zu allem davon mal ein, zwei (drei, vier oder fünf...) Sätzchen: Vorteile vom Tourismus auf Ometepe wären natürlich zum einen, dass viele Arbeitsplätze geschaffen wurden, wie zum Beispiel ein Bekannter von uns, Mann einer Arbeitskollegin, der in einem Touristenbüro arbeitet und uns geholfen hat Bus, Finca etc. zu finden und der auch die anderen Mädels auf den Vulkan Maderas geführt hat. Solche Führer gab es viele, die sich eben den Touris angeboten haben sie auf der Insel herumzuführen, zu den für Touristen interessanten Orten (in unserem Fall war das aber ein bisschen anders, wir kannten ihn ja, deswegen war das mehr privat) Ja, ein weiterer Vorteil wären da natürlich die Deviseneffekte, also das Geld, das die Touris auf der Insel lassen. Dadurch sieht der Parque Central in Altagracia zum Beispiel sehr schön aus, neu hergerichtet mit sogar einem großen Steinmodell der Insel in der Mitte. Oder für kleinere Leute ist der Tourismus Nebenerwerbsmöglichkeit, wie auf unserer Öko-Finca, die ohne die Funktion als Herberge vermutlich nicht überleben könnte. Und ein dritter Vorteil ist, dass dadurch zum Beispiel Naturschutzgebiete zustande kommen, wie bei San Ramon, dort sind ziemlich beeindruckende Wasserfälle zu finden. Durch den Tourismus werden solche Dinge geschützt.
Nachteile gibt es in diesem Fall eigentlich wenige. Nur zum einen, dass hier der Tourismus von vielen Faktoren wie zum Beispiel der natürlichen Gegebenheiten abhängt. Im Moment zum Beispiel hat der Nicaraguasee einen sehr hohen Wasserstand, weswegen alle Strände nunja, einfach weg sind, weil sie überflutet sind. Damit fällt einer der einzigen Pullfaktoren von Touristenzentren/Strandorten wie Santo Domingo buchstäblich ins Wasser. Von einem Ereignis wie einem Ausbruch des Vulkans Concepción, was jederzeit passieren kann, will ich mal gar nicht sprechen. Wobei in diesem Fall der fehlende Tourismus wohl das geringste Problem wäre...
Einen weiteren Nachteil empfinde ich persönlich jedenfalls, dass so wahnsinnig viele Touristen dort sind, das macht das ganze irgendwie nichtmehr authentisch und echt, sondern das Leben, das Dorf, die Stadt wirkt mehr wie ein Theaterstück, das man den Weißen vorspielt, damit sie schön alles mit den Kameras ablichten können und im Gegenzug Geld dalassen. Vielleicht ist das ein bisschen überspitzt dargestellt, aber mir ist das ein bisschen so vorgekommen und ich habe mich sehr oft gar nicht wohl in meiner weißen Haut gefühlt. Insofern mag es sein, dass der Tourismus gut und wichtig für die Insel ist, aber ich finde er hat einfach ein hässliches Gesicht. Nur ist er eben notwendig.
Soooo, nun zur Landwirtschaft: Es wird Kaffee, Reis und Bananen angebaut. Kaffee zum Beispiel in unserer Finca, dazu mehr beim Ecofarming. Zum Reisanbau habe ich eine sehr schöne Geschichte zu erzählen, die mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben hat:
An unserem ersten Tag auf der Finca haben wir einen Abstecher in das nächste Dorf Balgüe gemacht um uns dort ein wenig umzusehen. Immer wieder mit aufgefallen, dass vor vielen Häusern Reiskörner am Boden auf Planen oder Terrassen zum Trocknen ausgelegt war. Immer mit dem Drang das doch jetzt mit der Kamera festzuhalten, aber dann doch das schlechte Gewissen und das Wissen, dass ich ja doch alles nur durch die Linse einer Kamera betrachte und Bilder sehe, die schon vorher in meinem Kopf da waren. Außerdem habe ich mir immer gedacht, dass ich gerne mehr darüber wissen würde, wo Reis angebaut wird, wie er weiterverarbeitet wird, ob verkauft wird oder nicht, etc. , allerdings wäre ich selbst glaube ich nicht auf die Idee gekommen einfach mal jemanden zu fragen. Als Meike mir das vorgeschlagen hat, haben wir auch erst einmal gezögert, einfach so fremde Leute in ihren Häusern anzusprechen hat mich schon Überwindung gekostet. Trotzdem haben wir zusammen einen Mann, der vor seinem Haus saß und eine Plane mit Reis zum trocknen davor, einfach mal angesprochen, was in Nachhinein eine extrem gute Entscheidung war. Er, William war nämlich super nett, hat uns alles erklärt und wir haben uns gut unterhalten. Keine Spur von Missfallen gegenüber Touristen oder gegenüber bohrender Fragen war zu erkennen, das hat mich echt fasziniert. Er hat uns jedenfalls erzählt, dass er den Reis tatsächlich nur für sich und seine Familie anbaut, also in Subsistenzwirtschaft lebt (nicht komplett, einige Dinge wird er natürlich nicht selbst anbauen können, so was wie Klopapier zum Beispiel ;-) oder auch Bohnen) Um den Reis anzubauen hat er ein Stück Land von einer großen Finca gepachtet, das er selbst bearbeitet. In zwei Monaten im Jahr etwa kann man den Reis ernten. Die Körner werden dazu in die Sonne zum trocknen gelegt und danach bei der Venta um die Ecke, die die nötige Maschine dafür hat, geschält. Das alles war für uns als Geographen natürlich sehr interessant, aber vielleicht gehe ich besser doch nicht mehr viel weiter drauf ein. Das eigentlich Tolle an der ganzen Sache war eigentlich, dass er einfach so unglaublich nett war. Und als ich ihn am Schluss fragte, ob ich vielleicht ein Foto von ihm machen könnte, um das festzuhalten, sagte er okay, aber er wolle sich vorher noch ein schönes Hemd anziehen. Krass wie wir doch oft, wenn wir mit der Kamera bewaffnet unterwegs sind, die Menschen als (Kunst-)Objekte wahrnehmen, die man ablichten kann, ohne zu wissen, was sie dabei denken. Und William war einfach ein Mensch. Und gerade deswegen finde ich dieses Foto eines der schönsten, die ich bisher hier gemacht habe.

Das ist William mit seiner Tochter vor seinem Haus


Weiter für Geographen: Die Vegetation in den Tropen ist, nunja, so wie wir sie gelernt haben, tropischer Regenwald. Direkten Kontakt zu ihm hatten die anderen, als sie ihre 5-stündige Wanderung auf den Vulkan Maderas überlebt hatten, ich persönlich habe mir das nicht noch einmal angetan, hatte dieses Vergnügen schon letztes Jahr. Verdammt hart, aber geil!

Zum Kaffeeanbau noch etwas. Die Finca Magdalena, auf der wir lebten baut Kaffee an. In diesem Fall ökologisch, d.h. zum Beispiel, dass die Kaffeebäume einfach so im Wald stehen, zusammen mit allen anderen Pflanzen (viel besser als Monokultur) und auf den Einsatz von Pestiziden und anderen Chemikalien verzichtet wird. Außerdem werden die Arbeiter fair bezahlt. Das Resultat: ein unglaublich leckerer Bohnenkaffee. Leider wird er in diesem Fall nach Kanada exportiert (hat jemand von euch zufällig Kontakte zu einer Firma, die Interesse hätte Abnehmer für fair gehandelten Bio-Kaffee zu sein? Der Chef der Finca fragte mich, er hat nämlich noch keinen europäischen Abnehmer)
Nunja, das tolle war wieder, dass ich da reingeraten bin, als ich nichts zu tun hatte und den Chef einfach mal gefragt hab, wie man das denn so macht. Er hat mir dann alles gezeigt und erklärt, jeden Schritt des komplizierten Prozesses. Danach sind wir dann ernten gegangen, seine kleine Tochter hat mir dabei gut geholfen. War schon ne irre Sache, mit dem geflochtenen Korb am Bauch durch den Urwald zu stapfen und die Anfänge von einer gewöhnliche Tasse Kaffee, die ich in Deutschland täglich ohne darüber nachzudenken trinke, mitzuerleben und mitzumachen. Ich habe noch keine industrielle Großplantage gesehen, aber ich war von dieser Finca so begeistert, dass ich beschlossen habe, in Zukunft ausschließlich fair gehandelten Kaffee zu konsumieren (und Presto-Instantkaffee, der Standardkaffee, der hier getrunken wird)

So, jetzt noch kurz zu einer ganz anderen Geschichte auf Ometepe:
Wir wurden gleich am Tag als wir ankamen, von einem, ich glaub letztendlich war er Franzose, eingeladen auf eine ziemlich lustige Fiesta mit vielen Reisenden aus aller Welt, und zwar auf der Öko-Finca el Zopilote, auf der wir letztes Jahr geblieben sind. Es waren dort viele junge Leute, „alternative Reisende“ aus aller Welt, von denen einer cooler und lässiger drauf war als der andere. Und davon etwa siebzig Stück, eine Französin hatte ihr Akkordeon dabei und hat gespielt, eine Art Ska oder einfach irgendwie stimmungmachende Musik, ein paar Trommeln waren dabei und eine ausgelassene Stimmung, man hat es genossen, dass man sich, Leute aus den verschiedensten Ecken der Welt, ganz hippiemäßig auf einer Ökofinca am Ende der Welt getroffen und gefeiert hat, wie toll und hippiemäßig man denn ist. Wenn man mir das erzählt hätte, bevor ich hergekommen bin, hätte ich gesagt, wie klasse das ist, und dass das genau mein Ding wäre. Aber als ich so meine unglaublich umwerfende Pizza gegessen und mal in die Runde gehört hab und Englisch, Französisch, Deutsch gehört hab, da hat mir einfach ein nicaraguanisches Gesicht gefehlt. Unter diesen siebzig Menschen habe ich tatsächlich nur einen einzigen Nica entdeckt, nur wenige Worte Spanisch gehört. Das wars also, warum ich das die ganze Zeit irgendwie doof gefunden hab. Die ham sich alle so wohl gefühlt und so sich untereinander verbunden „irgendwie sitzen wir alle im selben Boot“. Und obwohl ich eigentlich eine von denen war, hab ich mich dem einen Nica irgendwie viel mehr verbunden gefühlt als mit den allen anderen. Ich fand die Situation, dass man sich so derartig von der eigentlichen Welt, die sie doch alle entdecken wollten, fernhielt und lieber in sich selbst zurückzog, ganz schön seltsam. Irgendwie hat sich da in mir was dagegen gesträubt Englisch zu reden (abgesehen davon, dass es mir ganz schön schwer fiel) und verbrachte dann eigentlich den Abend damit mich mit dem Nica und einem Guatemalteken zu unterhalten.
War aber schon ne irre Situation. Ein Haufen Leute aus der ganzen Welt, die eine Französin, die leicht punkig gekleidet war und mit ihrer Hexenstimme Hexenstimmung gemacht hat, Trommeln im Wald, und Pizza und Bier auf den Holz- und Steintischen im Wald. Irgendwie wie in nem ziemlich guten Hippiefilm.
Trotzdem, ich hab mich nicht wirklich wohl in meiner ausländischen Haut gefühlt und wäre in diesem Moment lieber an einem anderen Ort gewesen, ein Ort, an dem ich die einzige leider mit weißer Hautfarbe bin. Aber es war extrem interessant das mal erlebt zu haben, und von außen diesem Spektakel zuzusehen war auch recht witzig.

Um langsam mal zum Schluss zu kommen (das ist recht schwer, wenn man einmal angefangen hat zu erzählen, ihr kennt mich ja...) Im Großen und Ganzen war Ometepe echt ein tolles Wochenende, und hat mir in mehrerer Hinsicht viel Stoff zum Nachdenken gegeben.

Hab mich aber sehr gefreut, als wir danach nach Hause gekommen sind, in das liebe San Carlos, auch wenn die Rückfahrt um einiges schaukeliger war als die Hinfahrt.

So, jetzt noch ein paar Fotos:


So sieht eine überflutete Küste aus


Nunja, das war der Blick von unserer Finca aus; Vulkan Concepción



Dieses Monstrum von Käfer war in unserem Schlafzimmer.

Montag, 29. November 2010

Mein 20. Geburtstag

Auch wenn’s schon ne Weile her ist, aber nunja, besser spät als nie. An meinem Geburtstag selbst hab ich das hier geschrieben:
Bis jetzt ist ungefähr die Hälfte von meinem Geburtstag vorbei und schon jetzt ist es einer der schönsten gewesen. Einer der berührendsten und einer der ungewöhnlichsten, eigentlich der mit Abstand ungewöhnlichste. Am anderen Ende der Welt, und zwar auch im übertragenen Sinne gemeint, habe ich eine Feier der besonderen Art bekommen. Eigentlich recht spontan bin ich einfach mal mit Kathrin und Meike mitgegangen, die von unserer Handarbeitslehrerin Rosita aus dem Rayitos del Sol, eingeladen wurden zu einem Kinderfest, das sie im Barrio 30 de Mayo, dem wohl ärmsten Viertel von San Carlos, veranstalteten. Mich hat interessiert, wie es dort nun nach einem Jahr aussehen würde, nachdem wir letztes Jahr dort sehr krasse Erlebnisse hatten. Die krasse Armut hatte in uns vom Jugendaustausch wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als wir dieses Mal dort ankamen, sah vieles schon ganz anders aus. Es hat sich viel verbessert, aber trotzdem war es noch erschreckend arm. Verdammt krasse Erinnerungen kamen da hoch, als ich so viel wieder erkannt hab. Über das Rinnsal führt nun eine Steinbrücke, eine Halle, wohl so etwas, das manchmal als Schule benutzt wird, war sehr schön und aus Stein neu gebaut. Dort waren bereits alle versammelt. Einige bekannte Gesichter waren dabei, die in mir ein umwerfendes, kaum zu beschreibendes Gefühl ausgelöst haben. Ein Mädchen, an das ich mich noch sehr gut erinnern kann, dem wir letztes Jahr den Plüschaffen geschenkt haben, hab ich sofort wieder erkannt. Das Fest begann muy alegre mit Folkloretänzen der Mädels aus dem Rayitos. Als die ersten Kontakte mit den Menschen zustande kamen, wurde ich wieder wie eine Besonderheit behandelt. Man hat sich mir präsentiert und hat mir die Kinder gezeigt. Nur war das dieses Mal kein bedrückendes und beschämendes Gefühl mehr, wie letztes Jahr, sondern eine Ehre und eine Freude, dass hier am anderen Ende der Welt, die Leute mit mir reden wollten, nur weil ich einfach nur da war. Gut, ein bisschen seltsam war es schon als ein Junge mir einen Plastikstuhl von woanders hergebracht hat, nur damit ich nicht stehen musste wie die anderen, und erst recht als, weil ich zögerte mich draufzusetzen, eine alte Frau aufstand und ihn mit ihrem Tuch sauber gewischt hat. Aber spätestens als wir anfingen zu tanzen, war es einfach nur umwerdend, dass ich einfach so mit den Kindern tanzte. Nur weil ich einen kleinen Jungen zum tanzen animierte, umkreisten uns plötzlich alle anderen, die uns mit großen Augen zusahen. Letztendlich wollte jeder mit mir tanzen, und hat sich einfach nur tierisch gefreut, als ich mal hier und mal dort tanzte. Ein Kind, das auf mich zukommt und mich an der Hand nimmt, um mit mir im Kreis bei der Pinata zu stehen... Wow. Die Nachricht, dass ich Geburtstag habe, hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Erst nur ein Junge, dann immer mehr kamen aus dem Gewühl auf mich zu und hat mich ganz fest umarmt und mir Felicidades gewunschen. Ich glaube den Moment, als man mich in die Mitte des Kreises schob und alle, alle Kinder und alle die dort waren, anfingen die Mananita für mich zu singen, werde ich wohl nie vergessen. Ich kann nicht genau beschreiben, warum mich dieser Moment so berührt hat, vielleicht, weil ich noch nie die Ehre hatte, dass so viele Kinder für mich singen, vielleicht, weil das gerade in dem ärmsten Flecken Erde war den ich kenne, vielleicht weil einfach der Blick in strahlende Kindergesichter, die man nach so kurzer Zeit schon irgendwie in sein Herz geschlossen hat, unbeschreiblich ist, ich weiß es nicht. Allerdings kann ich sagen, dass ich in diesem Moment, und generell heute auf dem Fest, die Menschen und die Kinder alles andere als arm wahrgenommen habe. Es war kein Blick auf die Armut da, sondern nur ein Blick auf die Freude am Fest. Ich empfand es einfach als so eine Ehre für mich hier und jetzt genau dort zu sein, und mit den Kindern zu feiern. Ich möchte damit allerdings nicht sagen, dass die Armut nicht sichtbar war, man hat sie den Kindern angesehen, die teilweise eingeschüchtert in der Ecke saßen und sich nicht trauten, bei der Pinata mitzumachen, eine Frau, die ich auch noch vom letzten Jahr in Erinnerung hatte, gab mir stolz einen drei Monate alten Säugling in den Arm, der an Windpocken litt und ein schmutziges Höschen trug. Ein Ziehen im Bauch beim Blick aus dem Fenster auf die Häuser. Im Nachhinein, beim Nachdenken über diese Situationen kommen mir viele solcher schwerer Eindrücke in den Sinn, die viele Fragen über Armut und wie man damit umgeht und wie man sie lindern kann, und die Unterschiede auf der Welt auf, die einem vermutlich schon beim ersten Anblick der Fotos, die ich dort gemacht habe, aufkommen. Allerdings sah ich heute dort kein Foto von der Situation an, sondern ich war dort und habe mit den Kindern getanzt. Und ich war einfach nur extrem glücklich dabei und fühlte mich weder beschämt noch unwohl, weil ich dort war, sondern einfach nur froh, weil ich meinen Geburtstag mit so viel Spaß feiern konnte. Das meine ich damit, dass der Blick nicht auf die Armut war, sondern auf die Freude.
Ich glaube dieses Gefühl werde ich wohl so schnell nicht vergessen, und ich hoffe sehr, dass ich, wenn ich Fotos davon ansehe, nicht das Foto als Bild sehe, sondern dahinter das Gefühl dort zu sein wahrnehmen kann, denn das ist einfach ein umwerfendes.

Die zweite Hälfte meines Geburtstages war übrigens nicht weniger toll. Mit den Kollegen von Arete feierten wir zu Hause eine klasse Fiesta, mit Tanz, Gesang und allem was dazu gehört.

Jetzt noch ein paar Fotos:


Wie immer wurde auch Folklore vorgetanzt.







Natürlich darf auch die Piñata nicht fehlen.







Der Kleine heißt Omar, ein klasse Tanzpartner :-)
(Ich habe ihn gefragt, ob ich dieses Bild hier hochladen darf, um ihn Freunden und Familie vorzustellen. Er empfand das als eine große Ehre und hat sich sehr darüber gefreut. Diese Info nur noch so nebenbei.)




Kathrin und Meike sind genial, haben mir doch tatsächlich Arroz con leche (Milchreis) gemacht, weil ich voll darauf abfahre.