vermutlich entgegen eurer Erwartungen hat mich nun doch mal wieder die Lust zum schreiben gepackt. Deswegen bringe ich euch nun mal wieder einigermaßen auf den neuesten Stand. Ich kann natürlich nicht alles erzählen was mir so passiert, deswegen beschränke ich mich auf die letzten paar Wochen, da kommt immerhin auch schon einiges zusammen ;-) Ich hoffe es wird euch nicht zu anstrengend.
Vor kurzem haben mich meine Eltern und Anika besucht und wir haben zusammen sehr viel erlebt.

Leider waren wir nur relativ kurz in San Carlos, weil wir noch so viel vom Rest des Landes sehen wollten, aber die Zeit haben wir intensiv genutzt und den ganzen Río San Juan mit seiner phantastischen Natur entdeckt.
Immer im Boot unterwegs, durch den Dschungel, das hat uns sehr fasziniert. Vor allem für das Naturreservat Los Guatuzos am Río Papaturro hat sich meine Familie sehr begeistern können. Dort gibt es einen Baumpfad, also ein 150m langes Drahtseil-Hängebrückensystem mitten durch den Dschungel.

Dabei konnten wir Affen, Riesenpalmen, Kakaobäume und sogar ein Faultier entdecken. Aber auch das Inselarchipel Solentiname mit der beeindruckenden Rolle während der Revolution und mit dem wunderschönen Kunsthandwerk aus Balsaholz, und El Castillo mit seiner Festung zur Verteidigung gegen die Karibik-Piraten, die den Río San Juan hinauf kamen, haben uns sehr gut gefallen.
Eigentlich wollten wir danach mit der kleinen Propellermaschiene "La Costeña" nach Managua fliegen, aber es war Semana Santa (Karwoche), was eine der wenigen nationalen Ferien sind.
Die Costeña war also schon einen Monat vorher komplett voll. Wir mussten uns irgendwie ein Taxi oder etwas organisieren, weil wegen den Feiertagen auch keine Busse gefahren sind. Aber mit den Kontakten, die ich inzwischen habe, konnte ich uns einen Transport organisieren. Karfreitag verbrachten wir in León, wo die Karfreitagsprozessionen am beeindruckensten waren. In den Straßen haben sie aus gefärbtem Sägemehl Teppiche mit christlichen Motiven kunstvoll gelegt, leider wurden diese schönen Kunstwerke am Abend mit einem Mal zerstört, als die Prozession darüber lief.
Es war ein riesiges Spektakel, ich glaube halb León war anwesend und hat mühevoll alles geschmückt, Altäre aufgebaut, fröhlich gefeiert, oder der Menschenmasse in zahlreichen kleinen Straßenständen Essen verkaufen müssen. Mir ist aufgefallen, dass vor allem christliche Feste von allen Leuten, groß oder klein, riesig gefeiert wird, und es ist immer ein fröhliches Fest auf den Straßen mit allen Menschen zusammen. Aber bei jeder Ansammlung von Menschen tauchen auch sofort die kleinen Verkäufer auf, die es sich zu nutze machen, dass so viele Menschen zusammen sind. Frittiertes Hühnchen, Hotdog, frittierte Bananen, Tortillas, Gallo Pinto, Wasser in kleinen Plastiktüten, Cola, etc.
In León hatte ich mit Anika noch ein besonderes Erlebnis, wir machten eine Volcano-Boarding-Tour auf dem Cerro Negro (schwarzer Hügel), organisiert von einem ganz coolen Neo-Hippie-Hostal voller Rucksack-Gringos die kein Spanisch sprechen, sich aber was drauf einbilden oh ja ganz alternativ in Nicaragua Urlaub zu machen. Wir sind mit der Gruppe mit einem großen orangenen Truck durch die Pampa Richtung Vulkan gefahren. Ich konnte fast die Gedanken der ganzen Leute lesen. Truck-Gringos: "oh look, its so nice here, all the nature and the beautiful the little houses with cute animals ... and they have the volcano so close, they could climb it up every day and don't have to pay for a hostel and a tour guide" Einwohner eines Holzhauses am Straßenrand: (übersetzt:) "da ist schon wieder so ein Laster der komischen Gringo-Touristen. Ich verstehe gar nicht was die alle immer haben, dass sie sich die Qual antun da raufzukraxeln. Haben anscheinend nichts zu tun, müssen nicht mühselig das Wasser hierherschleppen und das Feld bestellen in dieser trockenen Hitze. Sie spinnen doch, dass sie sich der Gefahr freiwillig aussetzen, der cerro negro könnte doch jeden Moment ausbrechen, ich wünschte ich könnte woanders hinziehen, aber der Boden ist nunmal nur hier am Fuß des Vulkans fruchtbar genug"

Trotzdem, ich bereue diese Tour nicht, es war ein umwerfendes Erlebnis und obwohl der Aufstieg echt hart war, hat es sich gelohnt. Oben angekommen schlug mein Geographen-Herz höher. Wir standen direkt am Rende des Kraters eines ultra-aktiven Vulkans (immerhin ist er erst 150 Jahre alt, vorher war nichts als normale Landschaft und jetzt schon 730 m hoch.) Ich sah, wo die letzte Lavazunge in das Land hervorgedrungen ist, die Erde verbrannte und eine schwarze Lavakruste hinterließ. Man hat die Erde brodeln gespürt, die Lava und die Schwefeldämpfe gerochen. Ich konnte es vor Augen sehen, was für ein Unheil für die Menschen ein Ausbruch bringen würde. Und wir Gringos waren so naiv einfach mal hinaufzuklettern um auf einem Holzbrett wieder runterzurutschen. Nunja, Spaß hat es schon gemacht und die Erfahrung war es wert.
Nach León ging es nach Granada, wo wir uns mit Cristian, meinem Freund, trafen der dort mit seiner Familie Urlaub machte. Die Kolonialstadt mit seinen schönen Häuserfassaden und dem absolut zu empfehlenden Hotel Kekoldi hat es uns auch angetan. Von dort machten wir Tagesausflüge wie zur Laguna de Apoyo oder nach Masaya auf den wunderschönen Kunsthandwerksmarkt (einer von diesen tollen handgeschnitzten Schaukelstühlen kostet dort nur umgerechnet 21€. Ich muss eine Möglichkeit finden mir einen mitzunehmen =)
Die letzten Tage bevor wir Anika wieder zum Flughafen nach San José bringen mussten, verbrachten wir in San Juan del Sur, am Pazifikstrand und ließen es uns gut gehen.
Ziemlich interessant fand ich bei der ganzen Reise das Land mal aus den Augen eines Touristen zu sehen, ich habe mich ja bis jetzt einigermaßen erfolgreich davor gedrückt einer zu sein. Es war schön in dem Sinne, dass man so noch einmal viel mehr wunderschöne Ecken des Landes kennenlernt und viel sieht. So habe ich bis jetzt um einiges mehr von Nicaragua gesehen als die meisten meiner Freunde hier, die zum Reisen weder Geld noch Zeit haben. Schade am Reisen ist aber irgendwie, dass alles aus dem Fenster eines ausrangierten US-Schulbusses wirklich sehr anders aussieht als aus dem eines Mietwagens. Man blickt auf alles von außen und ist nicht wirklich drin, man sieht das Land, aber man erlebt es kaum.
Selbstverständlich ist das richtige Erleben nur möglich, wenn man wirklich lange Zeit hier ist, und ich freue mich wie die Nicaraguaner sehr, wenn sich Leute aus anderen Ländern für Nicaragua interessieren und möglicherweise eine sehr lange Reise auf sich nehmen um dieses Land kennenzulernen. Stolze Nicaraguaner hören es oft nicht allzu gerne, wenn man sagt, dass die Touris ja schön die ganzen Scheinchen bringen, die Nicaragua braucht. Für sie hört sich das an, als würde man auf sie herabblicken, dass sie die Gringos zum überleben brauchen, abhängig von ihnen sind, nur die kleinen ganz unten sind, die nicht selbstständig und unabhängig sein können. Und Nicaraguaner sind sehr stolz, vor allem auf ihr Land und ihre Kultur. Das hört also verständlicherweise niemand gerne, obwohl jeder einräumt, dass der Tourismus etwas Gutes für das Land ist, sie sind ja auch nicht blöd.
Als ich von der Reise nach San Carlos zurückkam, wurde ich überrascht. In San Carlos tut sich sehr viel, es hat mich wirklich erstaunt wie schnell sich das Stadtbild verändert weil einfach ununterbrochen gebaut wird. Bei der Ankunft habe ich schon zwei komplett neue moderne Läden in der Einkaufsstraße und ein neues Mini-Straßenrestaurant entdeckt. Dafür ist ein anderer Laden komplett verschwunden. Die Hauptstraße wird nun auch ausgebaut.

Vom Krankenhaus bis fast ganz nach außen bei der Schule, dem Instituto, ist sie nun gesperrt und man munkelt, dass es wohl ab da getrennte Fahrbahnen geben soll, also mit Fahrbahntrennung in der Mitte. Der ganze Verkehr ist jetzt durch das Wohngebiet, das Proyecto geleitet und der Busbahnhof wurde ganz nach außen (in das Barrio Lindavista) verlegt. Ich werde jetzt regelmäßig viele Bilder vom Stadtbild San Carlos machen, weil es sich so schnell verändert.
Auch zu Hause geht es vorwärts. Meine Gasteltern Doña Sonia und Don Julio haben jetzt endlich den lange ersehnten Kredit bekommen und bauen das obere Stockwerk aus. Es kommen noch vier weitere Zimmer wie die unseren hin, mit eigenem Bad.
Unten außerdem auch noch ein zweites Bad unten und oben noch ein Gemeinschaftsbad. Die obere Außenverkleidung machen sie auch ganz neu. Heute haben sie mit den Arbeiten angefangen. Etwas unwohl ist uns allerdings schon, dass jetzt ganz fremde Arbeiter ständig um unsere Zimmer rumstreifen, wir schauen jetzt eben drei mal, dass zugesperrt ist, bevor wir gehen.
Ich glaube für Sonia und Julio ist das eine gute Möglichkeit das Haushaltseinkommen zu stabilisieren. Sie werden ja dann in Zukunft neun Zimmer vermieten können, das ist schon einiges, ich glaube es soll auch so etwas wie ein Familienhostal werden.
Die vorletzte Woche hatte ich nicht viel zu tun, Arete hat leider wieder nicht viel Geld, deswegen konnte ich nicht mit Sugeyling nach San Miguel fahren (ich hätte auch nichts tun können, dort haben wir schon zwei kulturelle Aktivitäten gemacht) Deswegen bin ich am Freitag mit Kathrin und Meike mitgefahren zu einer Feier in Cruz Verde, einer kleinen Comunidad. Das war sehr schön, wir hatten das zusammen mit dem Pastor von San Carlos (der an diesem Tag dort Messe hielt) geplant. Einige Spiele mit den Kindern, eine Piñata und ein Puppentheater. Das tolle war, dass viele Leute gekommen sind, wegen der Messe, und dass es den Leuten und vor allem den Kindern gut gefallen hat.

Nur ging die Piñata etwas schief, ein Kind hat den Holzknüppel an den Kopf bekommen. Es hätte mich gewundert, wenn nicht wenigstens einmal etwas passieren würde, das ist nämlich schon immer eine ziemlich gefährliche Sache. Das Kind mit dem Knüppel haut ja immer mit voller Wucht zu, und das mit verbundenen Augen. Und wenn die Bonbons fallen, dann stürzen sich alle wie wild drauf, oder nur die mutigsten. Bis jetzt ging erstaunlicherweise immer alles gut, man muss eben als "Aufpasser" sehr gut aufpassen und den Knüppel schnell festhalten. Dieses Mal haben wohl alle etwas zu langsam reagiert und schon ist es passiert. Zum Glück war es nur ein Streifer, aber geblutet hat es trotzdem wie verrückt. Und es war in dem ganzen Dorf nicht einmal ein Krankenpfleger zu finden, geschweige denn ein Arzt. Da wurde ich wirklich nervös, die Mutter hat uns die ganze Zeit beschuldigt usw. Letztendlich hat sich herausgestallt, dass der Vater wohl seinen Sohn übertrieben schützt und seine Frau sogar schlägt, wenn dem Kleinen was passiert. Kein Wunder also, dass sie auch ganz fertig war. Letztendlich hat sich eine Hebamme finden können, die nähen kann. Aber sie meinte es ist so klein, dass es sich nicht lohnt und dem Kleinen mehr wehtun würde als es so zu lassen.
Alles in allem aber ein sehr schöner Nachmittag, es hat den Kindern wirklich viel Spaß gemacht. Vor allem das Schwungtuch, so etwas haben sie ja noch nie gesehen. Ich schicke euch Bilder mit.

Die Messe war dann auch schön, wir haben sie noch mitgemacht. Wir, also Arete, wurden gesegnet und dass uns Gott bei allem unserem Tun und der Arbeit begleite, etwas komisch fühlt sich das schon an, so besonders hervorgehoben zu werden, nur weil man mit Kindern spielt. Aber das zeigt mir auch, wie wichtig es ist, einfach nur zu den Menschen hinzukommen und mit den Kindern zu spielen, für mich und für sie. Mich hat berührt, mit wie wenig diese Menschen zu begeistern waren. Die Leute dort leben in großer Armut und für sie ist es ein großes Highlight, wenn der Pastor einmal im Monat kommt um die Messe zu halten, das Abendmahl zu geben und die Kinder zu segnen. Ich glaube das ganze Dorf ist gekommen und hat fröhlich gefeiert. Alle haben gelacht.
Letzte Woche hatte ich noch ein schönes Erlebnis. Ich fuhr mit meinem Team bei Arete bestehend aus Betsy und Sugeyling (Betsy in blau, Sugeyling in orange) nach Solentiname.

Solentiname ist ein Inselarchipel im Nicaraguasee, bestehend aus 36 Inseln und etwa zwei Bootsstunden von San Carlos entfernt. Bekannt ist Solentiname durch den revolutionären Priester Ernesto Cardenal, oder durch sein wunderschönes Kunsthandwerk aus Balsaholz, das ihr vielleicht schon am Christkindlesmarktstand gesehen habt. Wir fuhren diesmal nicht als Touristen hin, sondern zum arbeiten, wie in jeder anderen Comunidad auch.
Wenn wir in die Comunidades fahren läuft es meistens so ab, dass wir mit den verschiedenen Institutionen wie den Schulen oder dem Centro de Salud zusammenarbeiten, um an die Leute ranzukommen, das ist nämlich immer das größte Problem. Betsy als Psychologin und Sugeyling als Sozialarbeiterin halten Vorträge, Gesprächsrunden oder Einzelgespräche über Gewalt in der Familie, verschiedene Formen von Gewalt, der Kreis der Gewalt, Schwangerschaft im Jugendlichenalter, Drogenmissbrauch, Machismus, Selbstbewusstsein, Erziehung der Kinder, usw. Ich versuche mir eine kulturelle Aktivität zu organisieren. Ein kurzes Theaterstück von Jugendlichen, eines mit Handpuppen für Kinder, eine Piñata, Spiele mit Kindern. Dieses Mal auf Solentiname war es etwas anders.
Unsere Reise wurde von Huelva, einer Stadt in Spanien, finanziert, die im Moment ein Programm Ingenieros sin Fronteras (Ingenieure ohne Grenzen) in Solentiname hat. Wir fuhren in einem kleinen Holzboot mit einem spanischen Ingenieur von Insel zu Insel und wollten die Treffen, die er mit der Bevölkerung hat, nutzen um unsere Arbeit zu machen. Nunja, leider hatte der arme Knabe etwas Schwierigkeiten die Leute zusammenzusuchen. Er arbeitet daran, vor allem auf den kleinen Inseln ein neues Wassersystem zu installieren, beziehungsweise überhaupt erst eines.
Das ist ein riesen 20m³-Becken, um das Regenwasser in der Regenzeit zu sammeln, es zu filtern und in der Trockenzeit als Trinkwasser für die Bevölkerung zu dienen. Sie trinken nämlich alle das Wasser aus dem Nicaragua-See, auch die kleinen Kinder. Der See, in den alle Abwässer der angrenzenden Städte fließt: San Carlos, Granada, Rivas, ebenso Fabrikabwässer und kontaminiertes Wasser aus Costa Rica, da der See viele Zuflüsse aus Costa Rica hat. Von dem Gesundheitssystem auf den kleinen Inseln brauche ich wohl kaum erzählen, es gibt keins. Und wie viele Menschen haben schon das Geld mal schnell nach San Carlos ins Krankenhaus zu kommen, wenn ein Kind krank ist, wegen dem Wasser. Das Kollektivboot fährt nur zwei Mal die Woche. Wir alle sehen jedenfalls sehr dringenden Bedarf an diesem Projekt. Aber ohne die Mitarbeit der Bevölkerung wird das nichts. Man kann nicht einfach so ein Becken in die Landschaft stellen und damit ist dann gut, auch sich das viele vielleicht so vorstellen. Das muss von den Leuten dort akzeptiert sein, man muss sie überzeugen, sie müssen lernen, wie man das wartet und jeder einen gewissen Teil dazu beitragen, in Form von Arbeitskraft oder finanziellen Mitteln, je nachdem wie es möglich ist. Wenn man das nicht berücksichtigt, hat man am Ende ein Becken dort, das verfällt, weil sich keiner dafür verantwortlich fühlt, immerhin hat es ja der Chele (Weiße) dahingestellt, und es wird nicht akzeptiert und nicht benutzt, weil keiner weiß was man damit macht. Deswegen ist gerade die EntwicklungsZUSAMMENARBEIT so wichtig. Im Falle des kleinen Mini-Dorfes Sector Ortega (circa sieben Familien) war genau das aber sehr schwierig. Die Leute hatten nie etwas zusammen gemacht, sie verstehen sich untereinander nicht und haben keinen Sinn für Gemeinschaft. Außerdem glauben sie dem Chele nicht, dass er das wirklich machen wird "Das ist doch nur Geschwafel wie immer, immer reden sie nur und passieren tut nie etwas, außerdem schau mich an, ich bin 70 Jahre alt, habe von klein auf das Wasser aus dem See getrunken und nie ein Krankenhaus besucht".

So etwas haben wir traurigerweise tatsächlich zu hören bekommen. Aber die meisten sehen schon ein, dass es so mit dem Wasser nicht weitergehen kann. Aber wenn beim zweiten Anlauf nur zwei Leute zu dem Treffen kommen, für das wir eine Stunde mit dem Boot gefahren sind, um den Leuten das Projekt zu erklären, dann sehen wir leider, dass wir dort nicht mit den Menschen zusammenarbeiten können. Für uns als Arete war es natürlich auch insofern ungünstig, weil wir unsere Arbeit nicht machen konnten. So haben wir in den zwei kompletten Tagen, die wir dort waren, keine einzige schwangere Frau gefunden (wir arbeiten mit schwangeren Frauen in der Prävention von Depression in der Schwangerschaft, das machen wir in Einzelgesprächen) und sonst eigentlich nur mit den Kindern in der Schule arbeiten können.
Das war allerdings eine sehr tolle Sache, auf der Insel Mancarroncito zum Beispiel. Nach eineinhalb Stunden Bootsfahrt waren wir noch lange nicht angekommen. Wir marschierten mit allem was wir dabei hatten noch eine dreiviertel Stunde durch den Urwald und an Kuhherden vorbei, über einen Hügel darüber, und das bei 30 °C im Schatten (genau diesen Weg inkl der Bootsfahrt müssen die Einwohner zurücklegen um zu einem Krankenpfleger zu kommen). An der Schule angekommen war ich einfach nur platt, und wir hatten nurzwei Flaschen Trinkwasser dabei. Zum Glück habe ich Betsy und Sugeyling angesehen, dass sie genauso KO waren wie ich, und dass ihnen der Gedanke an die Rückkehr genauso viel Angst machte wie mir.

Die Schule ist ein kleiner Raum, Blau-Weiß gestrichen (wie die nicaraguanische Flagge und die Schuluniform), so wie fast alle Schulen hier. Drinnen saßen vierzehn Kinder sehr verschiedenen Alters, denn für Alterstrennung gibt es keinen Platz. Einige trugen Gummistiefel, andere ausgelatschte Plastikschlappen, je nach Länge und Begehbarkeit des Schulwegs. Nur wenige trugen Schuluniform, deren Eltern sich das leisten konnten. Wir sprachen kurz mit dem Lehrer, der uns freudig begrüßte und mich neugierig betrachtete. Er gab uns sehr gerne eine Unterrichtsstunde ab. Ich begann mit dem Puppentheater, das die Moral hat, dass man alles schaffen kann, wenn man nur an sich selber glaubt. Soll das Selbstbewusstsein ein bisschen stärken. Die Kinder waren mir gegenüber sehr schüchtern, so ganz anders als die in San Carlos.

Ich möchte nicht sagen, dass diese Kinder noch nie eine Weiße gesehen haben, dass kann ich mir nicht vorstellen, aber viele Weiße machen sich sicher nicht auf den weiten Weg um mit ihnen Spiele und Theater zu spielen. Sehr begeistert waren sie von dem großen Regenbogenfarbigen Schwungtuch, das sie glaube ich tatsächlich noch nie gesehen hatten. Fix und alle machten wir uns auf den Rückweg, es war eine sehr schöne, unvergessliche Stunde für mich, und ich hoffe für die Kinder auch.
Zurück auf Mancarrón, der Insel auf der wir die Nacht verbrachten, komme ich nun endlich zu dem, was ich eigentlich erzählen wollte. Wir wohnten bei Doña Lidia Castillo, die ein kleines Familianhostal hat.

Sie ist außerdem eine Artesana (sie stellt das Kunsthandwerk her) und eine ausgesprochen offene und herzliche Señora. Ich fragte sie, ob ich Fotos von ihr bei der Arbeit machen könnte, um daraus eine Art Ausstellung oder Informationsbroschüre über das Kunsthandwerk in Solentiname zu machen, für die Städtepartnerschft Nürnberg, unter anderem für den Christkindlesmarktstand. Davon war sie sehr begeistert, ließ sich fotographieren und filmen, erklärte mir alles und wir hatten großen Spaß beim Posieren für das Fotoshooting. Das Highlight war aber, als sie mich selbst etwas schnitzen ließ.

Während ich von ihr lernte, wie man Schritt für Schritt das so weiche und leichte Holz bearbeitete, bis irgendwann ein Fisch daraus wird, merkte ich was es doch für eine große Ehre für mich war, dass ich das machen konnte. Ich bin einfach so hereingepurzelt, komme von so weit her, kenne die Frau erst seit einem Tag, und sie führte mich in ihre Tradition ein. Saucool!! Der kleine Fisch ist letztendlich natürlich nicht perfekt geworden, aber für den ersten, den ich geschnitzt, gefeilt, grundiert und angemalt habe, ist er nicht schlecht geworden.

Ich würde ihn gerne herschenken, aber ich glaube, dafür ist er für mich zu kostbar, tut mir Leid.
Ach ja, außerdem kann ich ihr kleines Familienhostal sehr empfehlen für diejenigen, die keine großen Ansprüche aber einen kleinen Geldbeutel haben und viel Wert auf ein familiäres Ambiente legen. Für 150 Córdoba (5€) ein Doppelzimmer ist ein guter Preis, mit Moskitonetz (unentbehrlich) und einem richtigen Klo, also kein Plumpsklo, wenn auch mit Eimerspülung, und sie verkauft agua purificado, Trinkwasser.
Solentiname gehört für mich zu einer der schönsten Ecken des Río San Juan, sowohl zum arbeiten, auch wenn es schwierig ist, als auch zum Seele baumeln lassen und mit den Menschen plaudern.
Nach dem Wochenende, das eigentlich nur Ausschlafen, Haus putzen, Wäsche waschen, Häschen versorgen und Champa (die Disco) besuchen bestand (so wie viele), bin ich nun in dieser Woche angekommen. Oh nein, stimmt ja gar nicht, am Sonntag waren wir Fischen, das ist eine tolle Sache:
Man leiht sich ein Boot (je nach Personenanzahl mehr oder weniger groß, mit Motor oder Paddel) oder man hat schon eines. Dann hat man kleine Fischerhaken, eine Rolle Nylonfaden und kleine Gewichte aus Blei oder Eisen, wenns kein Blei gibt. Dann holt man sich am Seeufer eine Menge Sardinen aus dem Wasser, mit Brotkrümeln angelockt und mit einem Netz oder löchrigen Kanister rausgeholt, oder man trifft zufällig einen Besoffenen Bekannten, der einem das für 5 Córdoba macht. Als nächstes geht man zur nächsten Pulpería und kauft: Wasser, Cola, Chips, Orangen-/Limonensaftgetränk/Fanta/Fresca, ein paar Plastikbecher und eine Flasche Rum. Wenn dann irgendwann alles organisiert ist wird alles in das Boot gepackt und eingestiegen. Wichtig ist dabei auf jeden Fall die Kopfbedeckung wegen der brutalen Sonne, und für Weiße ist Sonnencreme auch sehr zu empfehlen.

Man sucht sich entweder am anderen Flussufer des Río San Juan oder im Río frío oder am Seeufer ein ruhiges Plätzchen und bindet das Boot an. Und dann gehts auch schon los: der kleine Metallhaken wird mit dem Bleigewicht an den Nylonfaden geknotet und der Faden in einer Länge von etwavier Metern abgeschnitten oder durchgebissen. Man piekst eine der Sardinen auf den Haken, für Vegetarier ist dieser Vorgang extrem ungeeignet. Man schiebt den Haken durch den Mund bis ganz nach Hinten durch den Körper der Sardinen durch. Wenn man Pech hat quillen dabei Organe heraus. Sobald die Sardine fest auf dem Haken sitzt lässt man sie mit dem Bleigewicht ins Wasser gleiten, und sofort spürt man am Nylonfaden, wie ein Haufen Sardinen ihren eigenen Artgenossen anknabbern, dann muss man den Köder noch weiter herunterlassen, denn die Sardinen schwimmen nur oben. Den Faden hält man dabei immer in der Hand. Immer wieder spürt man dann, wie die Fische den Köder anknabbern, wenn einer aber richtig den Haken beißt, dann spürt man es gewaltig am Faden ziehen. Das kommt aber nur selten vor. Meistens knabbern die Guapotes oder Mojarras oder Barbudos oder sowas die Sardine nur ab, dann holt man den Haken rauf und hängt eine neue auf. Ab und zu wird einem ein Drago serviert, Rum mit Orangen-/Limonensaftgetränk/Fanta/Fresca in einem Plastikbecher, oder man isst Chips oder trinkt Cola oder Wasser. Ab und zu holt jemand einen Fisch raus, meistens bin das aber leider nicht ich, ich glaube mir fehlt noch ein bisschen Erfahrung, oder Glück. Je nach Größe des Fischs wird entschieden, ob er zu klein ist und noch weiter leben darf, oder ob er seinen Tod in unserem Holzboot und am Abend in unserer Bratpfanne finden wird. Frittierter Guapote selbst gefischt..hmmmmmmhhhh köstlich :-)
Diesen sonntag war die Besetzung unseres Fischkutters: Kathrin und Meike meine beiden Mitfreiwilligen, Cristian, Ottmar dessen Neffe und sehr guter Freund von uns, und Fernando der Freund einer Arbeitskollegin, der aus Managua zu Besuch war. Es war ein wunderbarer Nachmittag, obwohl ich in den ganzen drei Stunden circa dreißig Sardinen an die Fische verfüttert habe und nur einen kleinen Barbudo rausgeholt habe, den ich aber wieder freiließ. Man ist dabei so nahe an der Natur, unbeschreiblich. Sogar einen Affen haben wir im Nachbarbaum chillen gesehen.
Mir macht Fischen einfach ultra Spaß. Es ist übrigens eines der wenigen Dinge, die junge Sancarleños in ihrer Freizeit, zB am Wochenende machen können, etwas wie ein Hobby. Außer Fußball, im See baden, in die Champa gehen oder bei besonderen Anlässen ins Schwimmbad fahren gibt es keine Freizeitaktivitäten, also kein Kino, kein Poetry Slam, keinen Tischtennis-Verein, keine Sternwarte, kaum Musikunterricht (nur einen Gitarrenkurs in der Tertulia), kein Atlantis.Erlebnisbad, kein Tiergarten. Um mal schnell ein Wochenende nach Solentiname, El Castillo oder sogar Managua zu fahren, fehltden meisten Jugendlichen einfach das Geld. Außerdem sind sie ja ihrer Familie gegenüber verpflichtet. Das Haus muss sauber gehalten werden, es muss gekocht, Wäsche gewaschen, auf die kleine Nichte aufgepasst werden, nebenbei studiert man vielleicht noch am Wochenende. Wenn man großes Pech oder einen sehr kleinen Geldbeutel hat, muss man das ganze auch noch doppelt machen: Im eigenen Haus und dort wo man als Hausmädchen angestellt ist. Das ist finde ich ein Aspekt der Armut, der oft unterschätzt wird: die fehlenden Möglichkeiten seine Persönlichkeit zu entwickeln.
Als Freiwillige muss man sich auch ebenso daran gewöhnen, dass es kaum Freizeitangebote gibt. Aber mit Fischen geht das ganz gut, so lernt man es mehr zu schätzen, wenn man dann tatsächlich mal zum Fischen rausfährt.
Oh, aber nochmal zurück zu dem Häschen.
Die Familie von Cristian und Ottmar hat bzw hatte Kaninchen. Hier ist Cristian mit dem Weibchen zu sehen. Das Weibchen hat so um Ostern rum Junge bekommen, wurde aber kurz nach der Geburt vom Haushund Honkey zum Spielen herausgefordert und dabei leider getötet. Und dann soll man mal versuchen vier neugeborene Kaninchenbabys in Nicaragua per Hand aufzuziehen. Ottmar und ich haben das aber einigermaßen gut gemeistert, mit Pipette alle drei Stunden gefüttert und ein Wattenest gebaut und alles. Leider hat es aber nur einer der vier Überlebenskämpfer geschafft. Und der oder die kleine hat sich neulich auch noch das Pfötchen gebrochen, wir hoffen, dass das wieder verheilt, zumindest frisst er oder sie genug.

Ich habe mich in die Aufzucht der Kaninchen schon irgendwie hineingesteigert, ich bin ja sowieso täglich bei Cristian, Silvana, Ottmar, Mirjana, Hillary, Gustavo und Janixia zu Hause und versuche dem Zwerg ein schönes Leben zu geben :-)
Als nächsten Artikel bekommt ihr übrigens einmal einen Überblick der ganzen Personen, mit denen ich hier täglich zu tun habe, mit Fotos.
Dann machts mal gut ihr lieben,
es ist nicht mehr lange, dann bin ich wieder bei euch
genießt den kommenden Sommer und denkt beim nächsten Fisch, den ihr esst an mich ;-)
eure Kerstin


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